Re: Der Orgasmus als kulturelles Skript

Geschrieben von ecci am 21. Juni 2020

Antwort auf Filmtip geschrieben von Kerus am 21. Juni 2020

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aus "Putting the Interaction back in to Sex. Für eine interpretative Soziologie der verkörperten Lust" von Stevi Jackson und Sue Scott:

Im Anschluss an Gagnons und Simons Konzeptualisierung vertreten wir also die Auffassung, dass der Orgasmus in vielerlei Hinsicht ‚geskriptet‘ ist. Wie wir dargelegt haben, sollte man Skripte nicht als geschlossene Texte verstehen, die uns auf vorhersehbare Plots und Rollen festlegen. Vielmehr sind sie fließend und offen und bieten Gelegenheit zur Improvisation. Mit Skripten spielt man, man spielt sie nicht einfach aus oder nach; im Verlauf des Prozesses, in dem wir die Zeichen unserer Partner/innen interpretieren und ihrem und unserem (gemeinsamen) Erleben Sinn verleihen, sind Skripte immer Gegenstand von Aushandlungen. Wir bewegen uns zwischen den drei von Gagnon und Simon identifizierten Skriptebenen (kulturell, interpersonell und intrapsychisch) hin und her; dabei besteht immer die Möglichkeit der Interpretation und Veränderung.
In sexuellen Interaktionen verarbeiten wir reflexiv Material aus kulturellen Szenarien und interpersonellen Erfahrungen und konstruieren so ein persönliches Set sexueller Skripte, mit deren Hilfe wir Begehrensformen und Praxen Sinn verleihen. Diese Begehrensformen und Praxen wiederum prägen unsere individuellen Phantasien und unsere sexuellen Kontakte mit anderen. Durch intrapsychisches ‚Scripting‘ „wird dem Inneren des Körpers Bedeutung verliehen“ (Gagnon/Simon 1974: 21), so dass wir körperliche Zustände als sexuell bedeutungsvoll verstehen können. Sexuelles Erleben kommt nicht unmittelbar aus dem Körper, sondern muss aktiv interpretiert werden, bevor es als das, wie sich Erregung oder ein Orgasmus ‚anfühlt‘, in unsere sinnlich wahrgenommene Verkörperung eingeht. Der Orgasmus ist dann eine kulturelle, interpersonelle und intrapsychische Konstruktion und nicht die ultimative Wahrheit des Sex.

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