Wiedervorlage: VF3leins französische Jungs-Abenteuer (ausschließlich lesbar lb. kl. Eichhörnchen, den wahren)

Geschrieben von VF3 am 16. Juli 2023

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Mir ist so. Altes Zeugs rauszuwerfen. Tut mir gut. Aus irgendeinem Grund. Und in demselben.


III Art deco

Global players I

Angesetzt. Noch in der letzten Sonne.
Alles in geraden Sätzen, so wie im Laufen gesprochen. Eine Weisung, wie die Stimmen zu hören sind, wird nicht gegeben. Nichts wird gezeigt außer den Orten dieser einen Schrift. Alles ist zu finden.
Die Schrift Montségur ist religiös, sagt, was ich für sagbar hielt: erinnerte, transzendente Gegenwart in den Ordnungen einer Geschichte. So in der leichten Art etwa später zu schauen, den Vorübergeschrittnen hinterher. Ein Mummenschanz. Im Zeitenwechsel von den Ewigkeiten ins geile Sein - unglückliches Machtverhältnis zwischen Gott und den ihn zeugenden Dämonen - verspüren die Leergefundnen Lustgier nach Opfermacht, magischer Lösung.
Magie, die schlichte Methode, weite Entfernung zu vergrößern, ist den Globushändlern ein schlechtes Geschäft. Für Wanderer ein schöner Erwerb zur Entfernung. Die sprechen im Einzelgang, entgegengeworfen, weniger Sprachen als ein Herr von Welt, sind heiter Erkrankte, die ein eines Einziges wollen oder nicht wollen.
Die Schrift Montségur ist auch Spucke. Daß Zeit leicht zu gewinnen wäre. Daß die in der Zeit angeschaute Zahl der Leiden Zeit erhellte. Ich spucke darauf. Die Zahl macht traurig elend Menschlichkeit. Ich selbst bin der Magier, gegenwärtig und einzeln, spucke auf den Boden und die Geschichte beginnt.



Jan II

Windige Tage waren. Ich freute mich, das afrikanische Grau am Himmel zu sehn, das der Trommler und Legionäre. Ich war allein, weil ich die Heiligen nackt und den Heiland gestorben gesehn hatte. In der Sprache der Tiere gesprochen: Ich habe mit Tieren gelegen wie mit Frauen und Männern und Mädchen und Jungen. Als mich der Mensch sah, den ich lieben sollte, hatte mein Traum noch am Vorabend gepraßt und zuerst phantastete meine Hand, dann mein ganzer Kopf im Gedärm eines polnischen Knaben Jan.



Mein Herz ... III

Ich hatte für mich den Süden der Welt als einen Bestimmungsort des Nordens verstanden und von den Fahrtordnungen der Reise zum Ségurberg gehört, war in den Keller meines fränkischen Hauses gestolpert, die verstreuten ledernen und eisernen Teile des Gepäcks zusammenzutun, auf Fahrt zu gehn, so wie es früher die Keller-Krüppel mit Lourdes gehalten hatten.
Geschwächt durch Aufenthalte in Krankenhäusern, durch Ärzte, die ich als Zeitwissenschaftler der Armen verspottete, die mir die Tagsicht der Träume befohlen hatten, war ich auf die Erde ihrer Welt gestürzt. Daß sie im Krieg läge, das gab ich auf. Auch: einen Jungen getötet zu haben.
Zur Entlassung war mir gesagt, ich sei nun in der Befindlichkeit zur Gesundung. Mein Wollen sei die Gefahr. Ich müsse es am Vermögen des Menschlichen messen. Der zwei Zentner schwere, lachende Doktor sagte: Herr Cunctor, sie wissen, sie können wahnsinnig werden - wie sie das nennen - so wie ihnen das beliebt. Das ist selten. Sie sollten allgemeiner werden. Ich sagte: Ich spucke auf die allgemeine Menschlichkeit. Ich will bloß meine eine Nacht.

Ich sah einmal einen Vogel einen meterhohen Bogen vor den Augen eines Kindes hüpfen.
Das Kind gewann glückliche Augen und ich dachte: das Kind hat glückliche Augen. Weil an einem sonnigen Tag das Laub mit Farben aufreizte, das Moos an den Brunnenhähnen dampfte, wollte ich der Szene einen treffenden Namen geben: Das glückliche Kind. Dessen Wirklichkeit dem schönen Tag widerstand. Das Kind war noch viel zu klein, um das, was es erfreute, mit Namen fassen zu wollen. Der Vogel: kein Gegenstand der Welt! Ich fand den wirklichen Namen, der das verschieden gewogne Glück bezeichnete: Das Kind und der Vogel sind glücklich.



... ohne den September IV

Es ist eine außergewöhnliche Kreuzesgnade, im Leben gestorben zu sein und davon zu wissen. Im Gedächtnis seines zweiten Lebens war mir der Junge begegnet. In dem Land, das ich zuerst im September gesehen hatte. Damals war vieles anders. Nizza lag bei Afrika. Ein Spiel, Skorpione zu fangen, am Morgen die Trichter der Ameisenlöwen im Wegstaub als Festungswerke zu begutachten; das Hotelbett als eine mannhafte Station fernerer Abenteuer zu begreifen, das war ein Gebet mächtiger Gewalt.
Das Kind, das unschuldig tötet, ist immer zu fürchten. Der Untergang der Welt wäre ein Kindertraum. Die große Liebe aber auch.
Man würde in den Jahren zur Liebe, dann zu neuer Fähigkeit reifen: Ein großer Unsinn. Zurückkehren muß man. Damals war nichts anders. Frankreich ein leeres Land.

Auf der Fahrt nach Montségur war ich durch Deutschland und Österreich geirrt. Straßen, Augen, Tod sprechende Münder, die nach einer Strecke Wegs dem Läufer folgen und falsche Worte eingeben, seltsame Dinge, Freude an den Angstwerken des Häßlichen, der völkischen Stadt. Das ließ mich laufen. Andere Welten in diesem Lichtwerk sah ich nicht an. Früher hatte ich esligen Spaß, die Frau Maria einer Gegend in ihren Bildern und Figuren zu suchen und vielmals zu betrachten.

Der September ist schön. Kein Regen hat abends am Fenster seine Gespielen, die kleinen Wintergötter genommen. Ich fror und schloß nicht. Sommer sollte sein. Thomas war ausgegangen.
Ein häßlicher Junge aus Montpellier, im sechszehnten Jahr, einen Meter und etliche Zentimeter hoch, romanisch blond (das häßliche kupfrige Blond), nachlässig wie ein Südmann von fünfundzwanzig gekleidet, schwarzer Turnanzug, teuergewesne, jetzt ausgetretne Schuhe, war im Auge blau, aber so matrosendunkelblau, daß ich gleich gelacht habe. Eines hat mir gefallen, nämlich am langen Schädel das kurzgeschnittne Haar, das hinten im Wirbel verbüblichte und vorn am Scheitel aus einstiger Locke was Fedriges machte.
Der Junge lag nachts neben mir. Das kostete nächtlich 30 Franc extra. Als die Geschichte anging, hatte ich allein schon für die Nächte 900 investiert. Ich hing ständig in irgendwelchen Bars am Telephon, um fürs Silber zu sorgen, erzählte meinen Freunden, Marokkaner hätten mich ausgeraubt, könnte die Hotelrechnung und den Zug nicht bezahlen. Dachte durchaus nicht an Rückkehr. Denn die Geschichte ging ja erst an. Zwischen der Stadt Thomières im Languedoc und dem Montségur standen die Kilometer der Berge.
Ich wollte dem Jungen nichts Böses, solange der nicht beschrieben sein würde; indes der Gegenstand nachts im Bett der Literatur an der äußersten rechten Kante klammerte. Lungerte nun statt im Rattenloch und auf der Place de la Comédie im Zimmer oder im Café de L´Europe, in dem er Sensation war. Machte ich mich mittags zum Gang in die Berge bereit, klirrte mit Eisenteilen, sah ich ihn unter der Decke hervorkriechen. Ich sah ihn nachts, zurückgekehrt aus den Bergen und der Schrift.
Ich hatte bisweilen Angst vor dem Kleinverbrecher, wurde wach, um zu sehen, ob er auch schliefe. Mit offenem Mund. Ich liebte ihn nicht (mit wievielen Mädchen hat er gelegen? nestelte zwei Finger ins Wirbelnest am warmgeschlafnen Kopf). Ich war eitel stolz auf ein literarisches Abenteuer, das eine minderwertige Jungenfigur in Septemberglanz zu tauchen unternahm. Während Papier sich tagsüber streckte, ich nach den Wandlungssätzen forschte, kam er mir täglich geweckter vor. Wie ist das? Eines Nachts küßte er mich wissenschaftlich.



Als Nizza noch in Afrika lag V

Nun waren wir wie die Kinder bei der Mutter - das Kind und der Vogel sind glücklich - in den großen Ferien, wie damals, hier unten im Süden, fühlten uns wohl in dem Leib, der Zeichen gab, nach Meisterämtern zu streben.
Thomas war krank, solange ihn keiner gesehen hatte. Ich war blind, bis ich ich ihn sah. Alle Kompliziertheiten löste die Herbstsonne, die mir Steinwerk und Zeit maßlos überstrahlte.
Er hatte keine Worte und wurde meine Hoffnung. Den Gott-Dämon setzte ich ins Recht ein zur Antwort, gab ein Geschenk meiner Kinderzeit zurück: gedachte Freude eines Jungen. Ihm gab ich Thomas und erwartete das Zeichen zum Aufbruch.

Eifersüchtig würde ich die auf Straßen gesuchte Antwort hüten, auf Bergen weiße Papiere zerreißen.
Im glücklich kalten Blick nach Krankheit und Gebet, zwischen Sonntag und Sonntag, standen nun die Wochen wie Richtsprüche. Aus dem starren Fahrtziel, den Berg Ségur zu sehen, aufzusteigen, in der Katharer-Ruine Feuer entzünden - und dann, zurück? - schloß sich keine Methode, gab sich kein Name. Wir taten uns also wohl, um den Tag zu erwarten und, wie es zwischen Mann und Junge angemessen ist, suchten Schattenplätze, sprachen wenig, störten die Fremden kaum.

Blinzte Thomas ins Licht, entzündete der Apfelkern einer Krankheit seine Augen. Sie wurden feucht und weibisch. Er lächelte ergeben, lachte nicht. Ich ließ die papiernen Stöße garstig liegen und wir saßen auf den Pontons der gelben Textilfabrik.
Thomas sollte meine Geschichte fälschen: Wir warteten unten am Wasser der Quellgrotte des Jaur und oben, über den Streusandplatz, wo die Männer Boule spielten, lief eine glückliche Mutter uns entgegen. Im Dunkel der Höhle zwitscherten die Fledermäuse. Die Bäume streuten von dem Abhang darüber ihre Früchte. Vögel stießen durch die Mückenschwärme, sperrten die Schnäbel und die Mutter, die zu uns an den Quelltopf herabgestiegen war, meinte: „Ist das nicht schön? Die Vögel! Das ist doch einfach herrlich!“



Kind und Vogel müssen glücklich sein VI

Sonne war aufgegangen. Unter dem Fenster sangen Kind und Mutter Frère Jacques, Wasser schliff, Wagenspur rauchte. Hunde sprengten durchs Grün. Das Grün befeuchtete Fänge, wischte mit Pflanzhänden über die verpappten Morgenlippen. Der Türmer in Deutschland schnitt einen Ton aus dem Blech, daß es bis nach Frankreich pfiff. Vögel schlugen einen Kreis vom Himmel zur Erde, streiften im unteren Abschnitt, der durch Olivenholz gezogen war, triefnasse Blätter. Das Spritzwasser, das andere Bahn hatte, leuchtete vielfarbig. Kinder, die das Gesehene zur Tat trieb, entzündeten Fackeln, deren Flamme im Sonnenlicht kaum zu erkennen war, schlugen mit Feuern um sich - man hatte Unruhe, sie könnten einander verletzen - warfen Glut über sich und setzten den Spielort ins Feuer. Rings um den Platz standen die erdachten Foren, Schlösser, Mühlen, Lauben und waren Arbeiter gerade geschäftig, aus hochgebauten Archiven hölzerne Kisten zu rangieren, in denen tausendjährige Schriften gedauert hatten. Das steckten die Kinder mit Gelächter in Brand. An dem hellen Morgen, in dem sie das taten, senkte sich die Sonne zu ehrfurchtsvoll geröteter, nachmittäglicher Verneigung. Die Hunde trippelten Töne wie von Flöten - die Vögel sausten gerade wieder im Sonnenblau - hatten sich nämlich in dem grünen Bastgras-Abfall gefangen, den die Hasen in unendlichen Hasengeschlechtern zu Haufen von den Hängen ins Morgental geworfen hatten. Wir sahen der Hunde immer-verliebte Augen. Eine Zikade prallte dem Jungen gegen die Stirn, kroch ihm ins trockne Haar, saß da als Nadel im Nest. Ein Stier, dessen gedehnter Leib in die flachen Wasser geriet, dessen Gehörn buschwerk-umzaust war, fiel in ein diesen Leib erwartendes, silbernes Oval und starb, hatte dazu sein Geweide gegen einen scharfen Stein geworfen und der öffnete mit Geräusch und Geruch den Magen. Das Tier hatte Schmerz daran und riß mit Bewegungen weiter. Da es tot war, jubilierten die Vögel, stürzten in den Blutbach: Thomas schöpfte daheraus eine Hand voll, klatschte mir das warme Rot lachend ins Gesicht. Ich sagte: Paß nur auf! gleich kommt Gott! -- da kam er wirklich, war ein alter Judenmann, hatte sich den Nürnberger Trichter schelmisch aufs Haupt gesetzt, und zu sagen: helmisch - schadete auch nichts. Gott stapfte, mit dem Stab arbeitend, ärgerlich durchs Morgengrün und alles, was ich mir vorgenommen hatte, ihm zu sagen, verschallte mit dem nochmaligen Stoß des Trompeters, der von den Zinnen der Nürnberger Burg eifrig gegen Süden geblasen hatte.



Mit anderen Augen VII

So verhalf mir Krankheit zu guten Tagen. Die Krankheit war ein Haus, das den Fremden abends wortlos einläßt. Sammlungen in den Prunkzimmern werfen undeutbare Schatten. In eines der Zimmer sind mehr als hundert Tische bis an die Decke übereinander hingeordnet, ein anderes verwahrt Stühle, ein anderes Werkzeuge, Äxte, Zangen, Schippen, ein anderes Getreide. Lampen werfen spärlich Licht und man ahnt, daß der Hausherr bald diese entfernen, in ein eignes Zimmer sondern wird. Der Fremde bleibt fremd, begreift, daß hier das Haus des Glücks ist, Verwahrhaus der Dinge und des schwarzen Punkts in einem Kasten.

Meine Krankheit fand Nahrung in den alten Dingen, gab ihnen Lebenskraft. Mein Bluthaus war reichlich gefüllt mit den Gegenständen seiner Liebe. Für ihre Ewigkeit lebten darin die gefügten Leiber, spielten mit den ihnen dazugegebnen Dingen. Eine alte Frau trat ihr Spinnrad, konnte nicht aufhörn. Ein Fischer auf dem Spirding sah nach den Reusen. Ihnen allen hatte ich Leben versprochen. Sie, die ich liebte, traten unter den Tüchern hervor, verließen mich nachts als das, was sie waren.

Da mich auf Festen im sommerlichen Deutschland der reichsfreie Herr von Czerny-Gaudenzwing über die Gralsgeheimnisse unterrichtet hatte, den sagenumwobenen Kelch, der nichts anderes als die bemeisterte Dingwelt bedeutet, das dareingeflossene Blut den leichthin ins Wirkliche getanen Tod, faßte ich Hoffnung, diesen zu gewinnen. Hatte das Lilienbanner in ein altes Leder geschlagen - als Talisman - und war dann im August aufgebrochen nach Montségur. Czerny-Gaudenzwing beschwor mich, nicht nach den Methoden zu forschen, derer die Mächte Meister sind, mit denen sie die gefangnen, plumpvollen Herzen freien. Ich sollte nur ein leichtes Sturmgepäck wählen, denn sicher würde ich auf der Reise dem erhabenen Hunger in einer Gestalt des Gottes begegnen.



Fritz VIII

Denn irgendwohin an ein Ende, einen Ausgang sollte das Leben schließlich führen. Sonst würde ich, der gewesen war, in dieses nicht eingetreten sein, das am Anfang nicht mich, sondern den Wert der Dinge bedeutete, deren entdecktes Geheimnis die Freude --: entleert dunkle Räume, führt zum Ausgang (wo man den Kopf abgehackt kriegt). Wenn einer die Bäume gezogen, für ihr Laub den Wind geweckt haben sollte, so wie die Liebe für das Meer oder für die Täler die Berge - wie Tantchens Tod für den der Küchlein - dann mußte am Anfang, noch bevor Licht in die Augen geschlagen war, Freude gewesen sein.
Die Freude ist bei den Göttern. Das sah der Knabe ein, blickte nach Knabenart unschlüssig dunkel, strich sich das Gesicht mit Harzen, um wie ein Mann auszuschaun, der das ertrüge. Das bekam ihm nicht gut, verdarb ihm die Haut. Danach spürte er kaum noch den Wind.
Mit der ersten Sünde kommt das Alter. Weil mir das gesagt war, noch bevor ich verstanden hatte, frühes Leben zu lassen oder zu behalten, lief ich, weil Laufen das allererste Glück war. Und über dem Lauf in die Zeit tat mir eine grobe Hand aus der Luft das Maul aufsperren und sobald als ich sprach, lobte ich mich des Laufens mit dem Besteck der Ausrufe - die die Knaben meines Alters an den Badeseen riefen, Friedrich in der Schlacht - und mit zwölf hatte ich schon Eigentum erworben, Haus, Garten und Felder. Ich verschenkte zuvorkommend alles an die Besatzer, errichtete ein Denkmal: Der Knabe. Keiner bemerkte, daß in einer leeren Ecke des Besitzes jemand ein Außen vergessen hatte.

Freilich könnte ich die Tage verbinden zur geschlossenen Erzählung. Das Glück war aber immer wie Ausflug - komm, wir fahren wohin! - unter dem schwarzen Himmel, in dem das Feuerwerk nachher nur wie ein einziger leuchtender Punkt zu denken ist.



So wie er ist IX

Ich weiß nicht, wie der Junge ist. Will das nicht wissen. Könnte mich an Schreibtischen quälen: Achtet er mich? Hat er Verstand? -- Mit dem Federschlag meiner Verliebtheit schaute ich aufs ruhige Bild. Das war recht hübsch. Über der Stadt Thomières zog Rauch von südlichen Gehölzen (beizte die perversen Nasen) und Himmel heizte sich mit Rotlicht ein. Schwarzfilter der Altostrati erzeugten in kältesten Gärten noch herbstliches Ferngefühl, in den Winkelecken - des Sommers und der Spiele - altmeisterliche Tafelbilder; deren Nachglut sah man bis in die Nacht. Den Gängern auf Straßen wurden untadelige Einsamkeiten zuteil. Man hörte auch Töne: Die Sonne. Das Gedröhn ihrer Achse mochte die Engel im Himmel verstören; nicht jedoch die Leute, die im Sommer an Schreibtischen gesessen und das Weiß geschaut und diejenigen, die mit den Kutschern täglich Geschäft hatten.
Kutscher sind gefährliche Leute, und die mit ihnen umgehn sind Fuhrwerkler oder Weitgereiste.

Von der Quellgrotte des Jaur brachte ich Wasser aufs Zimmer, reinigte in einem Waschstein seltene Stoffe. Die hatte ein niedlicher Winzer in seinem verkommenen Rucksack wie Wein gelagert.
Eine Leinenhose, nachmittagsweiß, und eine beige Jacke mit Metall. Unter dem Sonnenschwarz stand ihm das ausnehmend gut. Ein Städter aus Montpellier (komm! sei ein wenig arrogant!). Die Leute sagten: „In dem weißen Leinen gehn .... das ist fremd. Wir gehen und fragen uns, ob er nicht besser wissen sollte, weshalb ihm der Spaß so billig ist. Man sollte ihn fragen, wieviel ihm angetan worden ist. Die Polizei soll sich ihrer annehmen.“ --
So würden sie nicht gesprochen haben, hätten sie in die windigen Schädel geschaut. Da heckte man seit den Zeiten der Meister Krieg wider sie aus. Johannes, der Meisterjünger, der das Blut aufgefangen hatte und der den Gott ausbluten sah wie den Stier, war mit der Kaiserin des Weltalls über die kleinasiatischen Berge bis Ephesos gezogen. Dort hatte er ihr eine Hütte errichtet. Später ihren glorreich geistlichen Heimgang geschaut. Czerny-Gaudenzwing berichtete von Johannes, sein Gang mit der Kaiserin über die steinigen Berge habe den einfachen Geschöpfen, Pflanzen und Tieren einen solchen Zorn und Mitleid verursacht, daß seither aus den Bergen manche zur Krankheit gerufen werden, doch vom Blut noch lange nichts wissen; so wie früher die Ritter.

Er hat nichts verstanden, würde ich dem Leser sagen. Du verstehst nichts! sage ich ihm. Das ist was ganz andres. Der ist in den Bergen angenehm verrückt, entdeckt, was Höhe ist. Man kann steigen; darauf und darüber.
Ich sage also morgens beim Kaffee: wir gehen nach Marthomis oder: wir gehen nach Bordevieille; ich genieße die Windstöße am Fenster und er fragt: Today, we go where? Bin dann mit Leben beschäftigt wie nur selten.
Gebären die Mädchen Enttäuschung; wollen die schwächeren Jungen solange als möglich singen. Und natürlich auch siegen. In Schlachten. Man darf sie nicht unterrichten, bevor ein Meister sie unterrichtet hat. Und natürlich, weil dies die Pilgerschrift ist und das Pilgern kein Geschäft vernünftiger Leute: nicht bevor der Gott-Dämon, der am Kreuz als Weib gestorben ist, sie über den Weg der Schwachheit unterrichtet hat.

Beim Bergaufstieg sehe ich Thomas vorangehn, freue mich der schönen Figur, die die Berge schaun. Er trägt meinen Rucksack geschultert, Obst, Brot, Rotwein, Decken, hat einen Zweig Eichenlaub darangesteckt - Gott weiß, woher er das kennt! - schreit, sobald er hübsche Plätze findet, wo zu rasten gut wäre. Ich höre die Schreie, sehe keine Vögel. Und ruft er mit unverwandelter Stimme, fürchte ich Wolkenschatten.
Thomas steigt durch Fels und Ginster, versteht die ehrwürdigen Werk-Zeichen der Ségurfahrtenschaft als Werke und Aufgaben der Welt, will den Eingang des Reichs mit einem Spaten ausgraben. Ich möchte nichts dagegen sagen. So besprechen wir den Kauf eines Spatens und wie ein solcher zu beschaffen sein hätte.



Ein Käfer X

Kaum hatte ich Thomas geküßt, war mein Himmel verhangen. Oft saß ich unter den Friedhofszypressen, kaute an Kräutern, trank Wein, viel zu viel Wein, daß er morgens immer meinte: it´s no good!
Einmal hatte mich ein Rascheln im Humus nervös gemacht. Ich dachte: Ein Salamander. Entdeckte keinen. Nach einer Stunde, wirklich, neben mir nach einer Stunde kroch ein schwarzer, rotbezeichneter Käfer über einen Kiefernzweig. Schon am Morgen hatte ich Flügelhörner, Trompeten und eine Baßtrommel gehört, ein Leben gesehn und sah es jetzt. Mit der Koppelzange zwickte ich dem Käfer den Kopf ab. Die Leibmaschine, während dem Rumpf anstatt des Kopfes eine flüssige Perle aufsaß, kroch auf die Zange, schied rosige Eier aus. Ich trat das Ganze unter die Erde, biß hinein, schrie, verlor zwei Zähne.
Wie mich Thomas abends im Kellerlokal von Sylphia in meiner Ecke fand, meinte er: it´s awful, very, very awful! Ich hatte dann Besuche beim Zahnarzt. Tage vorher auf dem Berg hatte ich einen Stein aus der Erde gerissen, um vom Fels einen schöngewachsenen Marmor loszuschlagen. Die Erde, die alte Frau, die in ihrem Mantel tausend und tausend Geister nährt, hat mir dafür Kalk aus dem Maul gebrochen.

Während Thomas die große Reise träumte, blieb ich gefangen, stieg am Nachmittag auf Berge, um bis zuletzt die Sonne zu sehn. Thomas, der vom Eingang des Reichs sprach, und diesen leiblich zu schauen hoffte (und die weißen Gestalten, die heraustreten), war ja kein Narr, sowenig wie die Alten, die im Traum den Kaiser im unterirdischen Palast geschaut hatten. Narren sind, die Träume geben oder nehmen: Dinge und Geister sprechen im Werden. Zuzufügen ist nichts.



Gott sitzt in der Sonne XI

Komm, laß uns in der Sonne einen Kaffee trinken! Let´s have some coffee, because of sun and servant shaddows. -- What servant shaddows? sagte der Junge. Kleine Wolken meinte ich; kleine Jungen schauen nach den kleinen weißen Wolken und die Mächte des Reichs schicken ihnen Träume: Unwissen, Gnade, Herrlichkeit.
Vor dem Café de France saß Gott, den ich erwartet hatte, und ließ Wasser unter sich gehn. Wohl hundert schwarze Fliegen fraßen an dem schwarzen Mantel Gottes. Viele seiner Geliebten hatte ich so im frühen Alter gesehn, aber diesmal provozierte er selbst. Ich sah es gleich, da seine dunklen Pupillen durch schmale Augenschlitze scharf auf die Bewegung unsrer Köpfe spähten. Unser Schritt ging in die Luft.
Thomas war unruhig, wußte nicht, wer die Blutkammer öffnen wollte. Look at this man, let's go somewhere other. You said, we will built a tent up in the montagne. -- Ich wollte aber mit Gott sprechen, der gekommen war: We´ll stay.
Gott ist der Wanderer, den keiner versteht. An unseren Tisch gekommen, zog er aus seinem Beutel eine Flasche, drückte Thomas den Kopf in den Nacken, daß der Mund weit aufging, schüttete Flüssiges ein. Das war ein stiller sonniger Tag. Thomas, fürchtete ich, trank Gift.

Ich will trinken, bitte! bat ich Gott. Demain, antwortete der, griff sich Tiere aus den weißen Locken, warf die gegen den Wind, daß heiße Stöße Kastanien aus der Höhe brachen, trockene Zweige und Rinden in die Kaffeetassen prasselten, und ich sah und erinnerte mich: Vor Jahren hatte ich einen ähnlichen Ortswind geschaut. Da war ich sehr jung, sehr hübsch gewesen, hatte dem Wind Papier zugeworfen, in der Zeichenverschränkung über mir einen Gott spielen geglaubt. Ich hatte geschrieben, ich glaube, ein Gott ist gekommen -- dabei glaubte ich nicht, spürte nur jung und hübsch durch die singenden Felsen, während Gott in der Erscheinung als Schlange auf den Felsüberhängen gelauert und die Winde losgelöst hatte, in die er brüllte: Komm! Krieg und Sieg!
Nun saß Gott inmitten seiner Engel, deren eine Artung hübsch wie der ideale Knabe, deren andere falsch war wie das Kathedral-Bild. Alle waren heilig. Mit einer Bewegung ihrer Häupter bewegten sie die stärksten Äste der Kastanien und in den Kaffeetassen schäumte es kindisch meerisch. Wie Architekturen umschritten die goldenen Engel den Gott, einige gotisch, andere barock, einer führte Schwert und Horn am Gürtel. Sobald mein Herz auf diese sah, schlug es mit den Sturmtrommeln und straußverzierten Pfeifen einen südlichen Schlag.
In den Augen Gottes waren die Engel nicht zu sehen. Vieleher im Blick auf den Jungen. Ich schrieb ins Fahrtenbuch: Müssen einmal dunkles Wasser trinken. Engel tanzen / Wasser trinken. Wollen einmal Jungen in die Augen sehn. Dann kommt der Meister, nimmt uns das Blau, das Weiße Licht und das Goldene Nichts.

Thomas, über den die Bewegung der Engel hinweggegangen war, kauerte im Glück. Tomorrow it´s better to leave Thomières, sagte er.
Ich meinte, ihn jederzeit wiederzufinden, wann immer Not wäre, gab ihm 86 Franc für den Bus nach Montpellier. Am nächsten Tag brachen wir nach Carcassonne auf.



Jerusalem XII

Zwei und dreimal in den Tag stiegen Gewitter über die Berge. Ich spannte schwarze Planen gegen eine Feldsteinmauer. Zeltdunkel war süß. Draußen drückte schmälerer Raum. Regengänge beschäftigten das, was unter Fell und Wolldecke trockenfror an Flammiges, Helles zu denken.
Thomas fand, daß diese Unannehmlichkeiten - elend unwesentliche - in einer Weise schon an die Abenteuer der Pilgerschaft nach dem Ségur rühren mochten. Der Fahrtführer errechnete aus Zweizahl und Bezug - schwarzes Zelt, drei Tage Sturm - sich selbst, gefährliche Bildfigur noch unsichtbarer Gestalt, knechtete gefühlvoll Verstände, zählte die Zeit, so wie man mit Rosenkränzen den Himmel zählt, unter dem die Gänger nicht begreifen, was sie sind, schrieb mit dem Messer auf einen Schieferstein: Komm! schleuderte den mit Wucht gegen die Nacht, deutsch zu jammern: Ach! Des Kaisers Kleider! und der Junge fragte: What!? -- Darkness brought by you, taken my eternal reclusions. Und sah auf Bergen Lichtbewegung neuer Sonne. Anbranden und Abgleiten der Dinge im nicht leeren Raum, sohin daß deren Gestalt als die vollendete, hübsche Materie stand, von den Zahlen kaum zu unterscheiden, da und dort, und rechnete, wie lang es noch dauern könnte.

Liefen weiter bis auf Carcassonne, sahen die hingeschützten Häuser der Toten. Die hatten den Meistern nicht vertraut, steinerne Innengesichte ihres Bilddämons gegen den Ansturm der Mörder gerichtet. Die Festungszinnen schnitten uns aus dem feurigen Himmel handliche Stücke und ich hörte die Blutschrift: Denn Jerusalem wird wieder aufgebaut aus Saphir und Smaragd; seine Mauern macht man aus Edelstein, seine Türme und Wälle aus reinem Gold; Jerusalems Plätze werden ausgelegt mit Beryll und Rubinen und mit Steinen aus Ofir.
Jahre im Wandern geübt, die Fahne im Leder, die Form des Herzens als eisernen Hohlguß im Gepäck, erlaubte ich als Fahrtführer außer der Freude noch lange nichts. Das rühmte ich mir. Denn ich hätte auch sagen können: Es schützt sich bei den Knaben nicht, also wenn ich Schutz suche, ist es Spiel außerhalb der Regel.



Fünf und Sieben XIII

Am Morgen sangen die alten Männer vor dem Hotel. Das kam mir vor, als sollte die Fahrt bei Kaffee und Gebäck zuendegehn. Eine Möglichkeit. Wenn das Torenglück so zu finden wäre, das einmal ins Brot gebissen hat, ins weiße Himmelsbrot, delectamentum und Gelächter. Denn wer nie gearbeitet hat, hat noch nicht gemahlzeitet. Und wer nie gewandert ist, hatte noch keine Erquickung (ich erspare mirs nicht: im blitzenden Birkenwäldchen, das am Abend Lichtwind einläßt, wie in anderen Wäldern nicht zu finden). Wie ist das, von seiner einen Wirklichkeit zu wissen?
Am Morgen! oder: Die Frühe! -- Ich unterhielt Thomas im Glück; ein Ziel, vorbehaltlos am Anfang aller Fahrten gesetzt, woher und wann immer Wahrheit sänge (singt: am Morgen! in der Frühe!), aufzubrechen und zu jagen, tataratás!
Da hatte ich nun den Hunger. Den Süd und Nord spielenden Jungen im Unfindlichen wiederzufinden, der vor dem Einen und Einzigen gesprochen hatte: Sternwirt und Pferdeknecht! Klippsprung und ewige Kutschfahrt! und nur ein Tagesmarsch vom Prunkportal entfernt.

Der Junge sagte: When we go to Montségur? Ich schwieg auf alle Fragen. Er fand das um so geheimnisvoller. Eine Freude: Versuchte Thomas, meine erschrecklichen Haltungen nachzuahmen, war das ausgesprochen niedlich. Ich hatte meinem Gesicht eine Maske erworben, die den Leuten Außen und Innen verwirrte, nichts verriet, außer: Wir trinken Milchkaffee in Carcassonne und schweigen in die Luft. Seine kunstreiche Miene stimmte nun die bittersten Alten heiter, verriet uns jederzeit unverzüglich.

Ich verabscheue Leute, die einander ohne Großzügigkeit angucken. Ich hasse - so ich will - die Gesunden, die sagen: Die Gesundheit ist doch das wichtigste! wobei ihnen der Tod Saft in die Augen drückt. Solange das Hirn Blut hat, verfluchen sie die Krankheit, sprechen von der Liebe (wüßten sonst keine Krankheit). Begab sich an diesem Tag eine Schenkung. Eine öde deutsche Lehrerin war mitleidsgebeugt an unsern Tisch getreten, hatte von gefährlichen Abenteuern zu Marseille erzählt und wie sie zu Arles pastis-versunken des Malers van Gogh gedacht. Fand sie uns unaufgefordert: sympathisch. Wie wir so nachdenklich in die Sonne schauten. Einfach schön.
Unzüchtig sah ich Vollzug. Denn von einem Distelfeld war der Dame neugierig und hinterrücks ein Esel angetrabt. Sie hatte noch nicht gezahlt. Und der Esel fraß. Ich übersetzte Thomas das Bild ins Lächerliche. Der lachte, da ich lachen mußte, und weil wir den ganzen Morgen über nur kunstreich Miene gemacht hatten, lachten wir der Dame ins dumme Gesicht und erklärten ihr's, das dumme. Sie hatte bei Fremden Einsamkeit gesucht und gefunden. Sie! Es hat uns sehr gefreut! möchten sie wiedersehn auf dieser Welt, wirklich, damit sie in den Himmel kommen!
Wir hatten Freude bis in den hellen Abend, der wie einer im Sommer war, und wo es keinen Grund mehr hatte, lachten wir grundlos.

Wir gehen unter den Mauern im lichten Tal und plötzlich: Die Lyra. Ich schaue zurück und auf vorspringendem Fels im Hain - was ist gedacht! wenn schon Wissen im Lauf ist - fünf und sieben Platanen. Ich lalle: Plane-trees of decission!



Südliche Trommler XIV

Und obwohl mein Kopf voll ist von den Schrecknissen der Dinge, denen ich Leben gegeben habe, die sich in den Zahlreigen der transfiguratio dolorosa ereignen, wippt mein Fuß im Metalltakt der Trommel. Solange die eine den Schlegel auf's Fell springen läßt - wie sie will, denn den Trommler erwarten die Pfeifer - erwarte ich noch nichts, schaue nach oben ins Blau, ins Soldatenblau und matrosenblaue Augen.
Erinnert sich der Trommler, schlägt leiser und ein Pfeifer überbläßt sein Instrument mit dem erwarteten Lied, weil der Schlag der Trommel ihn begeistert hat (wüßte nichts davon, fragte man ihn, und im Norden wäre das Stück hier zusammengebrochen). Da ist es, tataratás, das Kriegslied, das man tanzt, das ein Walzer ist, der am Sommertisch des Urgroßvaters erinnerte Silberkrieg. Wie der nach der Bataille als junger Mann durchs Spalier der jungen Mädchen aufs Dorf geritten kam und plötzlich: Die Lyra.
Fünf Trommeln, drei Trompeten, vier Flügelhörner, zwei Tenorhörner und acht Pfeifen und wirklich vor dem Haus, das ausschaut wie alle Tage des Jahres vergessen, nur an dem einen, wenn der Alte Geburtstag hat, steht er oben am Fenster, geschmückt mit den Orden aus den Schlachten gegen das Reich und die Trommler, Trompeter, Hornisten und Pfeifer spielen wirklich das eine Lied.

An einem warmen Oktobertag gehen wir einen dreiviertel Kreis um die Stadt - einen vollkommenen verbiete ich - und dann ins Land, haben Land unter dem Schuh und marschieren, tataratás, würden anderenfalls schlafen. Ich hoffe nichts -- doch! daß Thomas seinen Schritton hört, minutenlang im Laufen auf Schuhspitzen schaut und, besoffen von dieser einfachsten Übung, gutes Alleinsein bemerkt. Auch meinen Liedtakt, den ich laufe.

Dann an einem Abend setzen wir uns auf den Mond, der über den kubischen Horizont schaufelt. Das träumen wir nur. Ich singe dabei Lalala so: den Licht-Vokal betont und lang gehalten, leiser werdend, schlage den Konsonant als weichen Lockruf an: láaà .... láaà .... láaà ....
Im Rucksack, unter Tomaten, Decken, Pullover und der Sammlung lästiger Papiere, ist die Tüte mit den Kastanien vergraben. Ich greife den Rotwein, gebe Thomas zu trinken, sage: We need some twigs! Er lacht übers ganze Gesicht, ist schön und ist gut, geht nach Holz aus. Ich hole die Tüte aus dem Rucksack, schütte sie aus.
Wie er aus dem Wald kommt, das Holz, den Königsschatz hinwirft, steht der Mond hinter ihm schief. Ta-tás, ta-tás, ta-tás, flüstre ich, entzünde Feuer.
Soll er für die Kastanien Röststeine suchen. Wie er zurückkommt, sind in die strohigen Haare Struppwerke gegeben, Rindenstücke und was sonst im Busch gefangen wird.

Wir schälen dem Gedächtnis den Grund, das Fleisch aus dem Holz. Der Mond steht fern und hoch oder tief und weit. Alles wie ich will. Ich klaube Thomas Gestrüpp aus dem Haar und sage deutsch: Ach je, das kommt von der Freiheit.



Bunter Hund XV

Südstädte verraten im Regen ihr häßlichstes Geheimnis: Daß der Tod im Sommer einen Schmerz ins Gelände wirft, bunter als anderswo, bunter Gassenhund, an den Federn und Schellen gehängt sind: In Carcassonne ist Blut zu fürchten. Sind die Cafés wie die Wohnzimmer der guten Base Roux. Die hatte nach der Schlacht ihren Helden Lichter entzündet, das über den Jahrtausendsommer verborgene Kriegsgeheimnis in den Tag gerissen.

Das letzte Stück Wegs: Ein böser Tanz-Knecht ist gekommen, legt Schärfe auf die Jungenzunge, Geschmackserinnerung, sucht nachts in den Cafés die Narren, gibt Pastis aus. Hat in Deutschland Geschäfte gehabt und vier Frauen, sagt, er habe in seiner Feldscheune Hölle geschaffen. Dort züchtigt er Frauen und Kinder, Hasen und Hühner, die er schlachtet. Seine Väter waren Schmiede in Franken. Hat eine seiner Geliebten mit ihren Kindern ins Café bestellt. Ich lese aus den Augen von Angeline und Philippe: Phantastische Erzählungen ihrer Angst.

Monsieur Klaus ist ein starker Herr, kennt den Berg, die Ruinenstätte des Ségurs gut, wird uns führen, spricht laut: Da ist nichts!
Seine Kraft west im lauten Lachen, dachte ich erst, dann: die bösen Taten, die getan sind. L´existence de Monsieur Klaus n´est pas bon pour l´honneur d´Allemagne! meine ich, und Thomas: it´s no good! und ich lobe uns alle drei für die Kraft, den Pastis bis morgens um fünf stehend zu trinken.

Nächsten Tags schlug ich die verknitterte Fahne aus dem Leder, dehnte, spannte sie aufs Bett, dann übers Eisengitter aus dem Fenster. Glatt und sauber machte sie der Wind. Die Leute schauten von unten zum geflaggten Haus rauf. Ich trank eine Flasche Wein und goß eine aufs Pflaster. War die Fahne glatt. Jeder durfte sie sehn. Ich wickelte Thomas ins leuchtende Tuch: You may return, if we´ll catch sight of Montségur.



Kathedralenmeisterin XVI

Klaus brüllte die Figur seiner Weiber in den Regen, war ein Fluch auf die Zunge. Wir sahen Zungenweiber, blieben still, hatten nachts Zeltfurcht.
Nach acht Regentagen, dem Hundertkilometer 2, orderte ich im Dorf unter dem ausgedachten Geheimnis, dem Montségur, drei Zimmer. Alles wie zu Eigentum für mich. Monsieur Klaus saß in der Hotelküche und trank. Ich lag im Bett bis in den Nachmittag: und trank. Suchte mit geschlossnen Augen zu sehn: daß unterm Schwarzgeklipp der Lider Nacht strahlt, ich mich selber suchend sah. Wie denn Nacht strahlt?! säuselnde, schreckensvolle Kathedralenmeisterin, die ihre Kinder verliebt ans singend-singende Herz nimmt, an Stacheln und Haken, süß für Stunden, ins Jahrtausendgebrüll auszubrechen.
Ging ich mit Monsieur Klaus ins Café, um Thomas zu vergessen.

Bis in den neuen Morgen dauerten die Dinge: In Wassern gewaschene Kastanien, Pinienzapfen, bunte Papiere in Pfützen, böse und freundliche Hunde - ins Fell der freundlichen legt man sein Gesicht und sie fühlen sich geschmeichelt - Katzen, Füchse, die die Hühner von Monsieur Klaus holen, kleinere Tiere, mit viel-beweglichen Beinen, Käfer, die rascheln, und Vögel. Luftspiel in der zeluloiden Abendröte. Unter Wolldecken am Fenster: Automs of animality are achieved by the blood and wanderers absence in theirs.
Sobald Monsieur Klaus einen von uns sah, lachte er laut. Bis es genug war. Und ich sagte: Das Wetter wird nicht besser. Selten kommt das Brot vom Himmel.

Klaus wartete in schweren Stiefeln. Ich schickte Thomas aus dem Zimmer, zu üben, mich der Fahne als eines Krückstocks zu bedienen, lief den knappen Platz zwischen Bett und Schrank auf und ab. Ich schrieb ins Fahrtenbuch: Tote leben ewig, Fahne kann flattern. Wer hilflos oder mit Fleiß, Gewalt oder Liebe Welt berührt, findet Schöneres als das Schöne des Geschlechts (das nur dauert).



Montségur XVII

1
Der Ségur also. Man soll von ihm nicht sprechen, nichts verraten. Von der Ostflanke, wo er aus trocknen Waldhuten ragt, erkennt man seine zweite, verbotne Wirklichkeit: Ein Reißzahn. Das eine ist seine aus den Schichten rausgeklemmte, erodierte Gestalt, das zweite Andere ist das Gefühl des Herrn de Courtay, Anführer der päpstlichen Belagerer: Gott! dieser Berg darf nicht sein! De Courtay ließ die Katharer auf dem schneeweißen Berg verhungern.

Klaus führte. Ihm folgte Thomas. Dann der Krückstockträger. Noch am Morgen hatte ich dessen Seltsamkeit und das zeitverspottende Unternehmen, den Über-Fluß, lustig verflucht. Der überschritt nun die Grenzen geübten Hochmuts in Nebel und Regen rückwärts, warf den Krückstock in eine Höhlenkluft, ließ einen kleinen Herrn die Peitsche knallen, rief Thomas, der im Bergwald ausscherte nach rechts und links: Wir gehn ja rückwärts! Wir müssen umkehrn! die ganze Zeit rückwärts! -- Echo gab den Laut EHRN!
Klaus hörte nicht. Thomas hörte wohl, stand aber nicht.
Der Über-Fluß riß mich zurück? Hatte ich nie zuvor gesehn: Starker Fallwind schüttete in Steinrinnen Nebel wie Wasser talwärts. Ich wußte, wo ich war; kletterte im Inneren zunehmend sich neigender Kamine. Weit unterhalb des Gipfels, im Dunkel eröffnete ich das Spiel. War darin geübt. Der erste Überfall galt Thomas. Ich warf ihn zu Boden, verschloß den warm-feuchten Mund mit der Pranke, flüsterte ins Ohr: Sublime gate was opend! hielt ihn fest, bis mir die Angst entkommen war.

Klaus suchte und verlor uns. Wir hörten sein Gebrüll. Solange er Laut gab, rannten wir bergab. Uns fing splitterndes Gebüsch. Als sein Lockruf schon im nahen Geräusch atmete, sagte Thomas aufgeregt: Listen! Je crains qu'il vient!
Wir sprangen in die Höhlenkluft des Krückstocks. Der Eingang des Reichs war nicht entdeckt, doch den Spaten, der zu dessen Ausgrabung dienen sollte, den hielt Thomas tapfer. Ich liebte ihn sehr, küßte 1 Jungen mit 1 Waffe in der Finsternis. Entsann mich der Lehre alter Doktoren, in der Welt sei Finsternis, Licht ein vom Auge ausgesandter, an Dingen bloß widergeworfner Strahl.
Vor dem Einschlupf, den er an Fährten gebrochenen Astwerks entdeckt haben mochte, stand Klaus, rief laut: Jungs, die Welt ist so schön! so schön! wollten doch auf den Berg gehn!

Da riß ich der Finsternis meinen Kopf entgegen, in ihr Sterngehirn Haß, band mein Messer an den Krückstock, rief fröhlich nach draußen gegen den Umriß: Hurra! Sie reiten wieder!
Ich sah es deutlich: Er stand, begriff die Frage, wiegte den Kopf. Und kein Gedanke, ob Klaus, als er eintrat, bereit war. Denn Thomas hinter mir schrie auf: le loup!
Klaus entkam nicht mehr rückwärts. Er scharrte und schlug, zog die Gewalt seiner Kraft im Unterleib zusammen, lag auf dem Rücken und brüllte. Mit vier Händen grub ich die Fahne durch Fleisch in Erde. Ein aufgespannter Schmetterling. Der Gott der Angst brüllte. Thomas zertrümmerte kindlich den Kopf des Gottes mit dem Spaten. Ich hatte gerufen: Thomas! Thomas!


2
Daß Feuer den Regen frißt, brach ich am Morgen Holz von den Bäumen, warf den Leichnam gegen eine Glutwand. Den Speer verbrannte ich nicht, reinigte das Messer im Gras, spannte das Fahnentuch zwischen Bäume in den Regen, sah Haare versengen, Kleider vom Fleisch brechen, wärmte mich. Die Flammfiguren waren schön wie die Tanz- und Krachteufel an den Wacholderfeuern, die von den Jungen, die im Taglicht gewildert hatten, nicht belacht und nicht beweint waren.
Jetzt qualmt dir aber der Kopf! alter Kasper! sagte ich zu Klaus, dessen Unterlippe wie ein Apfelschnitz zur Brust rollte, die Oberlippe zur Stirn. Da Säfte verdampft waren, zerstieß ich Körperliches im Flammwind zu Asche, führte Thomas ans Regenfeuer.

Die Plane, mit einer Wolldecke verlängert, steht eine Elle über dem Boden. Seiten sind mit auf Stöcke geflochtenem Strüppicht dichtgemacht. Ein sicheres Haus. Feuer vor dem Eingang. Ich reiche gezuckerten, mit Ei und Mehl verrührten warmen Wein. Ich trinke nichts. Wie Thomas einschläft, ist er etwas besoffen; schlägt nachts die Augen auf, sagt: Petit chien, vif et très intelligent, mais son corps est en début ....

Ich bin der erste, der die Sonne sieht. Wind schmeckt kalt. Fuchs bellt im Tal; Vögel, die in der Flugfreiheit den Tod nicht verstecken, schreien ihn aus, segeln und stürzen. Und als wäre der böse Gott eine Frau, hebt die strenge Oktoberbläue den Mittag.
Wir steigen auf. Doch auf dem Gipfel des Montségur, in der Ruine des Palas ist nichts als Welt zu entdecken. Deshalb und weil die Sterne in Geschichten Glück bedeuten, weine ich unangestrengt.

Feuerholz haben wir genug. Es mangelt an nichts außer Brot und Wein. So steige ich ins Tal, kaufe Hasen, Pilze, Öle, Gewürze, Wein, Obst und Kerzen und vier neue Decken.



Ein schöner Herbst XVIII

1
Fülle sorgte uns in Schlaf. Wir lagerten auf dem Ségur, sahen die in die Täler geschütteten Berge. Himmel bogen im Zenit, fast schwarz, das Blau auf die Gipfel. Drei, vier Tage machten den Lauf. Morgenwind, Mittagswind, Abendwind. Mit Thomas drang ich in hinterste Welt.
Schreie lohnten Himmel mit einem Gegenton. Habichte stießen auf Beute. An einem der drei und vier blendenden Tage schrieb ich Komm! warf das Wort über der Südflanke in den Wind -- da umarmte mich Thomas, fühlte mich und trat zurück, wie ein Hampelmann, fühlte mich, trat zurück. Ein Späher, im Blick auf den Ségur, hätte dort das Kunstgebilde einer neuen Himmelsmechanik erraten müssen.

Hatte mich im Traum sagen gehört: Mon fils! und Thomas fragte: Quand? bedrängte mich mit Spielgriffen beim Aufstehn und Schlafengehn, beim Klettern und Schöpfen aus Quellen. -- Das ist ja doch nur Sprache, bemerkte ich an einem Morgen, den ich mir nach Schwung und Himmelsfarbe erwählt hatte, warf mich nach Art der gedachten Dinge und übrigen Geschöpfe in den Herbst, landete auf Laub und Moos. Wie ich aufschlug, rief ich: Paradautz! scharrte im Sitzkreis mit Händen Laub und Erdgemüse, verteilte alles über und um mich. Thomas trat dazu. Ich bewarf ihn mit Wurzeln. Ey! rief der und warf mit Batzen von irgendwas. Ich schmeckte und faßte mit der Zunge ein halbwelkes Blatt. Es war eine Schlacht. Am Abend empfand ich, daß es ein schöner Herbst sei, dieses Jahrtausendjahr.

Kartoffeln ausgraben, Schlammfüße haben; aus lichtlosem Schuppen Bogensäge klauen, angstkühle Hände; Schlingen legen, in denen sich nichts fängt, Gelächter; das Maul aufsperren wie der Esel und beim Überschlag der Stimme abbrechen; Schafe jagen und mehr auf Erde als in Dankbarkeit liegen; sich bei Laub und Feuer ausbreiten, anschaun, schöne Worte suchen.
Dann, im Plan der Spiele, liebe ich den Herbstjungenleib. Wie gut das ist! Es dankt sich der Himmel vornüber, auch Gott bedankt sich. Ich schlage mit der Hand aus - vor lauter Lust - und aus dem Laub krabbelt Lebendiges; wühle mit der anderen einen Pilz aus - weiß nicht, was für einer - und schnupp! sitzt der dem Jüngelchen zerdrückt auf der Nase. -- Pfffh! Herbstspiele. Und wirklich: Wir sahen unten an der Quelle Tiere trinken, waren sehr zufrieden, saßen etwas entfernt, rauchten Cigaretten.


2
Dann forschte er nach dem Sinn unserer Wanderung und dem verborgenen Eingang des Reichs. Weil Spiel war - neue Bindung zu den Dingen im raumverzognen Kubus - in der weltdeutenden Zeit, führte ich über die eigentümlichen Grabungen eines Fünfzehnjährigen auf Zetteln Buch, Mißerfolge und Spuren. Thomas entdeckte die geometrisch deutbare Figur scheinbar gesetzter Felsen. In der kühlen Dämmerung: die enttäuschende Öffnung eines Grabes, das nur ein Haufen Steine war, der sich mit erdgewordnem Gewächs über die lange Zeit selbstbestattet hatte. Jeden Tag hoffte er, die gravierte Platte, den Schlüssel, den Abstieg zu finden.
Ich streute Laub auf die Aushubshügel, setzte mich darauf. Wir rauchten und ich hieß: Der Große Doktor. Ich flüsterte Pfortenwörter in kräftigen Herbst, errechnete Maße versunkener Keller. Dann berichtete mir Thomas von den Spatengängen tagelang nichts mehr.
Auch hütete der Schatzgräber hier Feuer ebensogut wie in den leeren Häusern Montpelliers. Zu einem Abendschluß auf dem Gipfel, nach der Mahlzeit, beim betrunknen Anschaun trunkfarbiger Sterne sagte er: If there's something, I've got it now.

Eines Mittags hörte ich von der Ostflanke her das Jubelgeschrei. Der Alluminiumkessel stand in der Glut, war später gerissen.
Ich verließ das Feuer, glaubte, rannte bergab dem Schrei nach bis zur Felskluft, vor der mich Thomas auf dem Ascheplatz erwartete. Ich stieß ihn von der Totenasche weg ins Gebüsch. -- I've found the entrance! I've found the entrance!



Der Eingang des Reichs XIX

Vor die Kluft sind Lehm und Steine gehäuft. Ich sehe schon: Füllmaterial, das war die künstliche Wand, die der leichte Junge mit dem Spaten durchstoßen hat. Wo wir kaum in der Nacht hatten sitzen können, stehn wir jetzt auf Fels, der in Stufen bis an einen Abbruch zur Tiefe fällt. Die schluckt Lampenstrahl und schallos Steine. Wie ich die Augen schließe, mich ans Dunkel zu gewöhnen, sehe ich den leuchtenden Zeitenwechsel, Gefahr, die aus Nacht ins Innen aufwächst. Ein schnelles Wachstum.
Daß Thomas aufwacht, werfe ich den Spaten, der lange Widerhall gibt, der unten weitergeworfen wird. -- Listen! down there is music!

Wir müssen den Abgrund erforschen, dann nach Deutschland fahren.
Ich zeichne seinen Rückweg nach Nordwest, nach Montpellier in die Karte. Da drüben, sage ich, so zweihundert Kilometer durch die Luft, liegt Lourdes. Laß uns in Richtung der Gotteskammern beten und sie schließen. Wir beten wie die alten Heiden vor dem Ritt: Sainte marie, mère de dieu, priez pour nous pauvre pécheurs, maintenant et à l´heure de notre mort.

Der Abschied ist ganz leicht. Als wenn ich Thomas durch Luft geworfen hätte, sehe ich ihn durch gelbes Baumwerk abwärts fortgehn.
Wie der Montségur in den Nachmittagsschatten auf die geträumten Wunderdinge fällt, fühle ich die große Liebe zu dem, den der Gott Thomas genannt hat, träume, wie er durchs Laub schlittert, sein Rückengepäck an Ästen hakt, die schönen Hände, lobe Schlitterspuren in der Erde, singe ins Laub noch Schutzlieder und atme, aufsteigend nach dem Ségur, blendende Sicht.

Am nächsten Morgen wende ich mich mit der Straße gegen Süd. Hinter mir, im Norden, steht in Kilometern durch die Luft der Montségur. Ich pfeife Lieder. Da sitzt auf einem Kilometerstein das Jesuskind, schlägt die Trommel, schaut mir hinterher und ich habe große Furcht und Freude. Tataratás!

††


Geschützt sei der Praetendent!





VF3

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